Gedenken ist ein abstrakter Vorgang. Er soll andere dazu animieren, in Ehrfurcht und Respekt etwas zu gedenken. Man kann niemanden zwingen, zu gedenken. Der Gedenkstein für einen Toten kann immer nur eine Einladung sein, sich mit dem Menschen und seiner Todesumstände zu befassen. Der zum Gedenken Eingeladene kann dieses Angebot annehmen oder es lassen. Meistens lässt er es.
Als Teile der Gedenkstätte für die Mauertoten der DDR durch ein Künstlerkollektiv entwendet wurden, damit sie an den Außengrenzen der EU darauf aufmerksam machen, dass trotz des Falls der deutsch-deutschen Mauer das Problem der außer-europäischen Mauern besteht, war die Aufregung groß.
Zunächst einmal: Es wurden Objekte des Gedenkens entwendet. Sie haben keinerlei Sakralität. Sie sind nie geweiht wurden oder dergleichen. Es handelt sich auch nicht um Grabsteine. Es handelt sich um materialistische Symbole zum Zeichen für Verbrechen, die begangen wurden. Nicht die, die Kreuze wegtrugen haben ein Verbrechen begangen, sondern ein Regime und seine Todesschützen. Die Kreuze selber sind hilflose Versuche, Erinnerung aufrecht zu erhalten. Alle Gedenkstätten sind hilflose Versuche dem Anderen Erinnerung aufzuzwingen. Weil der Mensch nicht gerne erinnern will. Jedenfalls nicht, wenn es nicht ihn oder seine Angehörigen betrifft. Wer in diesem Land kennt schon den Namen eines Mauertoten? Mein Gott, unser Land platzt aus allen Nähten vor Gedenkstätten. Weil unsere Historie so reich ist an Verbrechen. Und während die Gedenkstätten errichtet werden, werden wieder neue Verbrechen begangen. Das ist nicht nur bei uns so. Das ist überall auf der Welt so.