Erklärung von THE VOICE REFUGEE Forum und KARAWANE für die Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen – 11. Oktober 2012
VIDEO “Action days against Residenzpflicht” in Berlin 2001:
Stärkt die Einheit der Flüchtlingskämpfe gegen koloniales Unrecht
Kommt am 13. Oktober 2012 nach Berlin – 15:00Uhr Oranienplatz
Die protestierenden Flüchtlinge rufen für den Samstag, den 13. Oktober 2012, genau eine Woche nach Ankunft des Protestmarsches zu einer Demonstration in Berlin auf. Wir solidarisieren uns vollständig mit den Zielen des Flüchtlingsprotestmarsches und werden diese Aktion durch unsere Anwesenheit stärken. Aus Baden-Württemberg, Hamburg, Sachsen-Anhnalt, Thüringen und Nordrhein-Westfalen kommen wir, um unserer Einheit in diesem besonderen Moment Nachdruck zu verleihen.
Besonders ist dieser Augenblick, weil sich nach dem Tod von Mohammad Rahsepar im Januar diesen Jahres zuerst einige und mit der Zeit immer mehr Flüchtlinge aus ihren offenen Gefängnissen, den Isolationslagern befreit haben. Sie gingen am 19. März 2012 in Würzburg auf die Straße und begannen einen Streik. In diesem Augenblick starben für sie die Isolationslager. Sie haben sich befreit von den Schikanen und den Kontrollen des Asylsystems in Deutschland, das mit Isolation beginnt und mit Abschiebung endet. Sie haben mit der Zeit den Protest in andere Orte gebracht und haben die Residenzpflicht konkret gebrochen. Am 8. September 2012 begannen sie gemeinsam den Protestmarsch nach Berlin und haben auf dem Weg dahin viele unsichtbare Grenzen überschritten, so wie sie früher die Landesgrenzen auf ihrer Flucht nach Deutschland überwunden haben. An der Landesgrenze zwischen Bayern und Thüringen, an der ehemaligen innerdeutschen Grenze, am Skulpturenpark „Deutsche Einheit“ haben einige von ihnen ihre Ausweispapiere zerrissen und sich ein weiteres Mal befreit. Auf ihrem Marsch nach Berlin haben sich ihnen weitere Flüchtlinge angeschlossen. Der Protestmarsch hat die Lebensbedingungen der Flüchtlinge in Deutschland in den Fokus der Öffentlichkeit gebracht. Vor allem hat diese kollektive Aktion die Protestierenden selbst zusammengeschweißt und nun tritt dieser bereits fast sieben Monate andauernde Protest in eine neue Phase ein.
Praktisch haben die protestierenden Flüchtlinge alle Auflagen und Einschränkungen aufgehoben. Sie haben ihre Würde zurückerobert, indem sie die Isolationslager verließen und Mut bewiesen auf ihrem Weg nach Berlin. Sie wollen vorerst bis auf weiteres in Berlin bleiben, bis die Asylgesetze sich ändern, bis die Residenzpflicht abgeschafft wird, bis alle Isolationslager geschlossen werden, bis keine Abschiebungen mehr durchgeführt werden. Die Aktivistinnen und Aktivisten von THE VOICE Refugee Forum bekennen sich nicht nur zu diesen Zielen, sondern haben jede freie Minute und all ihre Energie für diese Ziele eingesetzt. Sie tragen tiefe Narben, die sie infolge ihres zivilen Ungehorsams gegen die Residenzpflicht durch Polizeibrutalität und Gefängnis erleiden mussten. Der Internationale KARAWANE-Kongress der Flüchtlinge und MigrantInnen im Jahre 2000 in Jena und die Aktionstage gegen die Residenzpflicht in 2001 sind Höhepunkte des zivilen Ungehorsams gewesen. Die Aktivistinnen und Aktivisten der KARAWANE für die Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen unternehmen ihr Mögliches, damit der bereits seit langem geführte Kampf gegen die genannten Gesetze gestärkt und bis zum Ende geführt werden kann. Aber, ein Blick zurück auf unsere individuellen Erfahrungen und Leben, auf unsere kollektive Geschichte als Verdammte dieser Erde, als Ausgegrenzte, als Ausgeschlossene ganz unten lehrt uns folgendes:
- Die Residenzpflicht, die Isolationslager und Abschiebungen sind Teil der aktuellen Herrschaftsverhältnisse in Deutschland und nicht zu trennen von den weltweiten wirtschaftlichen, politischen und sozialen Dominanzstrukturen. Rassismus ist eine Waffe, die im kolonialen Zeitalter verschärft eingesetzt wurde, um die Macht durchzusetzen und den Reichtum der Minderheit durch Ausbeutung der Mehrheit sicherzustellen. Diese Waffe ist weiter ausgebaut worden und mittlerweile zum Kampf der Kulturen umbenannt worden. Die Passgesetze in den Kolonien sind die Vorläufer einer Polizeiverordnung der Nazis, welche 1981 als Residenzpflicht Eingang in die Asylgesetze fand. Die Konzentrationslager wurden von den britischen Kolonialherren zuerst in Afrika errichtet, um die Profite des Imperiums durch Unterdrückung zu gewährleisten. Abschiebungen waren schon immer Teil der deutschen Ausländerpolitik der Bundesrepublik, um „GastarbeiterInnen“, MigrantInnen und Flüchtlinge in Angst und Schrecken zu halten und Migration zu kontrollieren. In diesen Herrschaftsverhältnissen wird Rasse konstruiert, werden die Arbeiterinnen und Arbeiter ausgebeutet und wird die Herrschaft der Männer über Frauen aufrecht erhalten und verschärft.
- Flucht ist eine Folge der genannten Herrschaftsverhältnisse. Flucht und Migration werden erzwungen durch Armut, durch Kriege, durch Unterdrückung jeglicher Opposition gegen die bestehende Gesellschaftsordnung und Herrschaftsverhältnisse oder durch die Zerstörung der Natur. Die protestierenden Flüchtlinge in Berlin sind die lebendigen Beweise der bestehenden Weltordnung. Sie kommen aus Afghanistan, Benin, Irak, Iran, Kamerun, Kongo, Nigeria, Türkei und … In diesen Ländern führt die NATO Kriege, wird die Opposition unterdrückt durch Waffen aus deutschen Waffenschmieden, werden die Menschen ihrer kulturellen Rechte und Sprache beraubt, müssen die Menschen für Hungerlöhne arbeiten, müssen Kinder sterben… Hier in Deutschland stehen sie vereint und klagen mit ihrem Protest gleichzeitig die Zerstörung ihrer Länder durch NATO und die Gier der großen Konzerne an. Ihre Einheit und ihr Protest richten sich zur gleichen Zeit gegen die F-Typ-Isolationsgefängnisse in der Türkei, einem starken Bündnispartner des deutschen Staates im Nahen Osten. Ihr Protest richtet sich gegen die Tötung von Flüchtlingen an den europäischen Außengrenzen durch die europäische Grenzschutzagentur Frontex. Ihr Protest ist der Schrei der Menschheit gegen die Barbarei, der täglich lauter wird. An wen richten sich also unsere Forderungen, wenn diejenigen, die die Gesetze letztendlich formulieren, durchsetzen, ihren Polizei- und Militärapparat gegen die Menschen richten, gleichzeitig die Ursache für unsere Flucht sind?
Wir sind überzeugt, dass wir keine Forderungen an die Herrschenden richten können. Denn durch jede Forderung, legitimieren wir die Herrschaft des Unrechts über uns. Nur wir selbst können die Befreiung herbeiführen, in dem wir die konkreten Kämpfe wie aktuell in Berlin ausfechten und uns in diesen Kämpfen bilden und stärken. Gleichzeitig aber auf dem gemeinsamen Weg, in jeder Minute unseres Zusammenseins, die Mechanismen der Machtausübung und die Deformationen, die wir als Menschen selbst in diesem System erleben, analysieren und die nächsten Schritte planen. Mit jedem Schritt wollen wir unsere solidarischen kollektiven Strukturen in unseren Gemeinschaften, Communities, Komitees stärken und ausweiten. Mit jedem Schritt wollen wir der Barbarei die Stirn bieten an ihren Fundamenten rütteln. Wir wollen das System überwinden, welches den Menschen von den Menschen isoliert, welches permanent Konkurrenz und Ignoranz erzeugt. Wir wollen die Machtverhältnisse verändern, die heute dazu dienen, damit eine kleine Minderheit den Reichtum an sich zerrt und denen raubt, die die Mehrheit der Menschheit bilden und diesen Reichtum tagtäglich generieren.
Kommt nach Berlin, um an diesem Samstag den Protest zu stärken. Tragt den Protest an die Orte, in denen ihr seid. Brecht das Schweigen, demaskiert die Herrschaft und benennt die Verursacher von Flucht und Kriegen. Macht sie sichtbar und stoppt sie dort, wo ihr könnt. Stärkt euch, brecht die Isolation und baut solidarische Strukturen auf – dezentral und nachhaltig.
Wir sind hier, weil ihr unsere Länder zerstört!
Vereint gegen koloniales Unrecht in Deutschland
Weitere Termine und Aktionen
- Aktivistinnen der KARAWANE besuchen am 17.11.2012 um 13.00 Uhr das Lager in Breitenworbis in Thüringen.
- 7. Januar 2013 ab 13:00Uhr in Dessau
Oury Jalloh – das war Mord!
Demonstration in Gedenken an Oury Jalloh und alle anderen Opfer der rassistischen Polizeibrutalität - Tribunal-Vorbereitungstreffen in Berlin: 10./11.11.2012 und 12./13.01.2013
- INTERNATIONALES TRIBUNAL GEGEN DIE BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND – 13. bis 16. Juni 2013 in Berlin
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