Stellungnahme des AKS (Arbeitskreis Kritische Soziale Arbeit) Berlin zum Umgang mit Flucht, Migration und Rassismus
Innerhalb der Zivilgesellschaft und in den Medien scheint es derzeit ein brennendes Thema zu geben: Geflüchtete Menschen alias ‚Flüchtlinge’. Diese Thematik wird insbesondere durch ein Paradoxon geprägt, das sich einerseits aus Angela Merkels ‚We can do it’ und ‚Willkommenskultur’ sowie andererseits aus rassistischen Übergriffen und massiven Gesetzesverschärfungen zusammensetzt. Dieses Paradoxon und damit einhergehende, unzumutbare Lebensumstände, denen geflüchtete Menschen (teilweise seit Jahrzehnten) ausgeliefert sind und an denen sich auf politischer Ebene höchsten zum Negativen etwas ändert, sehen wir als Anlass zu dieser Stellungnahme.
Zunächst wechseln wir das Licht, das derzeit ehrenamtliches Engagement hell erleuchten lässt, in ein weniger Blendendes: Die große Euphorie der Hilfsbereitschaft verleitet viele Leute zu einem romantisierenden Blick auf den Umgang mit Flucht, Migration und Asyl. Dieser Eindruck wird durch das mediale Bild und Merkels Aussage „Flüchtlinge mit offenen Armen empfangen zu wollen“1 entschieden untermauert. So kommt es zum Anschein eines „herzerwärmenden“2 Umgangs mit geflüchteten Menschen – der beispielsweise das Delegiertentreffen der International Federation of Social Workers (IFSW) dazu bewegte, Deutschland und Österreich als Beispielländer zu nennen, da dort die Haltung vertreten würde „Flüchtlinge so schnell wie möglich aufzunehmen und menschlich zu versorgen“3. Im Hinblick auf die Zustände am LaGeSo, die vielen Not- und Massenunterkünfte sowie die kürzlich getroffenen Gesetzesverschärfungen – Pro Asyl spricht in diesem Zusammenhang von einem „Frontalangriff auf das individuelle Asylrecht“4 – klingen derartige Statements jedoch zynisch.
Und nicht nur diese Tatsache, die Grundlage dafür bietet, dass verschiedene ‚Flüchtlingsgruppen’ konstruiert und gegeneinander ausgespielt werden; auch ein Blick in die „Chronik der Gewalt“5 verdeutlicht schnell, dass das Engagement von Teilen der Zivilbevölkerung nur eine Seite der Medaille ist. Darüber hinaus ist auch diese eine Seite der Medaille – trotz jeder guten Absichten – nicht durchweg positiv: Denn weitestgehend unbeachtet bleibt, aus welcher Notwendigkeit das freiwillige Engagement hervorgeht, zu welchen Bedingungen es stattfindet und welche Konsequenzen damit einhergehen. Außen vor bleibt dementsprechend auch eine kritische Betrachtung der „neoliberalen Vereinnahmung von Flüchtlingshilfe“6 sowie der Privatisierung von Hilfe, sprich der Verlagerung politischer und institutioneller Verantwortlichkeiten auf die Zivilgesellschaft. Zudem fehlt häufig eine Analyse der Fluchtgründe, der ‚Warums’ und ‚Wofürs’. Eine der fatalen Folgen ist, dass bestehende Macht-, Herrschafts- und Ausbeutungsverhältnisse aufrechterhalten und stabilisiert werden. Eine andere, dass bestimmte Personen in eine Abhängigkeit ‚vom Wohltun anderer’ versetzt werden.
Das zumeist ehrenamtliche Engagement vieler Menschen sowie das medial transportierte Bild deutscher Geflüchtetenpolitik scheint ‚Deutschland’ nutzen zu wollen, um ‚der Welt’ ein neues Gesicht in Bezug auf Flucht und Migration präsentieren zu können. Ein Gesicht, auf dessen Stirn in großen Buchstaben steht: WILLKOMMEN und INTEGRATION. Aber welche Gedanken verbergen sich dahinter? Wie sind diese Worte mit den massiven Asylrechtsverschärfungen und täglich stattfindenden rassistischen Übergriffen vereinbar? Was für ein Denken ermöglicht, dass sich die NPD am 19.11.15 unter Polizeischutz direkt vorm LaGeSo für eine Kundgebung versammeln kann? Und wer kommt auf die Idee, am 24.11.15 Strafanzeigen gegen das Staatstheater Mainz zu stellen, da dieses eine AfD-Demonstration mit dem Singen der „Ode an die Freude“ musikalisch untermalte?
Diese Liste ist derzeit bis ins Unendliche fortzuführen. Bewegt von den vielen Fragen geflüchteter Menschen an die deutsche Politik. Bewegt von unserer Berufsethik, mit der derzeitige Verhältnisse und Geschehnisse nicht vereinbar sind. Bewegt von einem Selbstverständnis Sozialer Arbeit, das bei derartigen Zuständen kritische Interventionen – auch auf politischer Ebene – verlangt. Und bewegt auch von der grundsätzlichen Frage, warum eine politisch-rechtliche Regulierung von Flucht und Migration überhaupt notwendig ist.
Der AKS Berlin sieht die derzeitige Situation als untragbar an und fordert insbesondere Verantwortliche dazu auf, hinzusehen, zu hinterfragen, Haltung zu beziehen, Rassismus und Ungleichheitsideologien aufs Schärfste zu verurteilen und sich entschieden für ein solidarisches Miteinander sowie sich für menschenwürdige Lebensbedingungen für alle einzusetzen. Damit nehmen wir auch Bezug auf die nach wie vor katastrophalen Zustände vorm LaGeSo und sehen diese symbolisch für die Situation vieler Menschen, die unter unwürdigen Bedingungen in Deutschland leben und deren Rechte immer weiter eingedämmt werden. Nicht zu vergessen sei in diesem Zusammenhang, dass diese Missstände auch unzumutbar für die vor Ort Helfenden sind. Denn diese werden oftmals, aufgrund eines massiven Scheiterns der Regierung, in widersprüchliche Rollen hineinmanövriert. Das lässt viele mit dem Dilemma zurück, durch ihre Hilfe im Endeffekt den Kreislauf des Versagens aktiv zu unterstützen. Und auch professionell ausgebildeten Sozialarbeitenden scheint es nahezu unmöglich, beruflich-ethische Standards sowie eigene Ansprüche zu erfüllen, da ihnen die Aufgabe zugeteilt wird, Koordinierungs- und Kontrollfunktionen zu übernehmen. Letztendlich sind es auch diese Mechanismen, die das verhindern, was eigentlich notwendig wäre:
„Refugees must not be seen as victims or burdens, dependent and in need of help. There should be political solidarity. Refugees do not need food and drink in so much as they need freedom, dignity, and safety from xenophobic attacks. Finally, they need protection from the laws that restrict their movements and remove their freedoms. They live in authoritarian conditions in countries said to be democratic.“ (Adam Bahar 2015) 7
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