Invitation of the initiative No Lager Neukölln/Tempelhof to Social Café Meeting in Lunte here, available in English, Farsi, French, and German:
Flyer Cafe Lunte_Weisekiezini_English, Farsi, French, German
8. Woche (7. Dezember 2015 – 13. Dezember 2015)
Nachdem die Presse nach langem Ausschluss endlich Zutritt zu den Hangars des ehemaligen Tempelhofer Flughafens bekommen hat, wird die dortige Situation auch in der ARD und im ZDF thematisiert. In der Sendung vom 8. Dezember 2015 berichtet Frontal 21 über die Lager im ehemaligen Flughafen Tempelhof. (http://www.zdf.de/ZDFmediathek/beitrag/video/2622342/Fluechtlingskinder-ohne-Perspektive?setTime=5.231#/beitrag/video/2622342/Fluechtlingskinder-ohne-Perspektive) Zwar fanden die Journalist_innen einen „Zustand, den keiner lange Aushält“ vor, doch wisse „das [.] auch der Leiter der Notunterkunft Michael Elias“. Immerhin wird ein Zusammenhang zwischen den Zuständen und der „Massenschlägerei“, die ein sehr breites mediales Echo gefunden hatte, hergestellt. Elias führt dieses Ereignis auf eine kleinere Auseinandersetzung bei der Essensausgabe zurück, woraufhin „junge Männer“ ihren Frust abgelassen hätten. Im Widerspruch zu Äußerungen von Bewohner_innen (siehe 6. Woche) verlegt Elias die Ursache in die „jungen Männer“. Die schlimmen Zustände werden in diesem Beitrag eher leise angeprangert. Elias schiebt die Schuld auf die staatlichen Behörden und die Kamera folgt verständnisvoll.
Am 10. Dezember 2015 berichtet die ARD in der 20-Uhr-Tagesschau und in einem Text auf ihrer Internetpräsenz über die Lager. (https://www.tagesschau.de/inland/reportage-fluechtlinge-117.html) „Ein bisschen Adventsstimmung, für mehr ist kein Platz“ – im Video ist der Ton deutlich schärfer als bei Frontal 21. Mit den Worten von Bewohner_innen wird über einen „furchtbaren Ort“ berichtet. Der wohlorganisierte Pressetermin stößt auf Skepsis:
„Zwischen den Zeltreihen in Hangar 1 liegen Matten mit Spielzeug ausgebreitet. Ein Mann vom Kinderzirkus Cabuwazi lässt kleine Jungen auf Gymnastikbällen balancieren. Ziemlich beeindruckend – doch ist das alles nur für den Pressetermin inszeniert? Wenige Tage zuvor saßen die Flüchtlinge noch beschäftigungslos in den Hangars herum.“
Auch Stimmen, die die Aggressivität des privaten Sicherheitsdiensts anprangern, wird Raum gegeben. Alles in allem wird ein düsteres Bild vom Leben in den Lagern gezeichnet. Die Worte des Lagerbetreibers Michael Elias wirken hier nicht überzeugend. Maßnahmen wie die Verlängerung der Essenszeiten, „Gesprächsrunden und sogar Konzerte und Singabende [.], um das Gemeinschaftsgefühl zu verbessern“, die Elias nach der „Massenschlägerei“ veranlasst hätte, werden nicht als nachhaltige Verbesserungen präsentiert.
Die Tagesschau verbreitet auch die Kritik der Helferin, die sich in der Vorwoche im RBB geäußert hatte. Die Helfer_innenführung bei Tempelhof hilft tut alles, um auch nicht nur den leisesten Anschein zu erwecken, die von ihnen angeeignete Organisation von „Freiwilligen“ könnte in irgendeiner Weise Kritik an der Tamaja GmbH äußern:
„Weil es auf der Webseite der Tagesschau nun auch steht: Tempelhof Hilft hat sich NICHT beim RBB beschwert. Die ehrenamtlichen Helfer haben Zugang zu den Hangars, wenn sie einer angemeldeten Unterstützergruppe zugehören und dies vorab mit Tamaja koordinieren. Es gibt mehrere ehrenamtliche Initiativen im THF. Unsere Gruppe kümmert sich hauptsächlich um die Kleiderkammer, was bei 2200 Personen schon eine ganze Menge Arbeit ist. Andere Initiativen haben ein Spielzimmer gebaut, geben Unterricht, machen Sportaktionen uvm. Es gibt den Zugang, allerdings koordiniert und mit zuverlässigen und regelmäßigen Helfern.“ (https://www.rbb-online.de/politik/thema/fluechtlinge/berlin/2015/12/fluechtlingsunterkunft-flughafen-tempelhof.html)
Die, die sich kritisch äußern, werden ausgeschlossen. „Freiwillige“ Helfer_in bei „Tempelhof hilft“ kann nur sein, wer ohne Lohn die Wünsche der Tamaja GmbH erfüllt. Die Einwilligung in das Lagerregime und das kapitalistische System sind hier die Voraussetzungen für humanitäre Hilfe. Wer helfen will, muss sich zu deren Komplizen_in machen.
Die ARD fällt nicht auf Elias’ Taktik herein, sich durch Schuldzuweisungen aus der Kritik zu ziehen. Die BZ tat dies am 9. Dezember ganz offensichtlich und bestimmt nicht unbeabsichtigt, wenn sie die Einrichtung als „Vorbildliche Flüchtlingsunterkunft im Flughafen Tempelhof“ tituliert. In einem kurzen Video werden „Spielmöglichkeiten“, „ein weiter Verpflegungspunkt“, „verlängerte Essenszeiten“ und „Getränke rund um die Uhr“ als Errungenschaften der Tamaja GmbH hervorgehoben. (http://www.bz-berlin.de/berlin/tempelhof-schoeneberg/tempelhof-soll-berlins-1-not-notunterkunft-werden)
Zudem prangert Elias nun auch selbst die Bedingungen in den Hangars an und schiebt die Schuld auf den Senat. (http://www.berliner-zeitung.de/berlin/ehemaliger-flughafen-tempelhof-hangars-5-bis-7-sollen-bis-weihnachten-fuer-fluechtlinge-fertig-sein,10809148,32892130.html) Im Artikel in der BZ behauptet eine Sprecherin gar, dass die Anlage zur „Not-Not-Unterkunft“ werden und bald keine_r länger als zwei Wochen dort wohnen müssen soll.
Bei den Bewohner_innen kommt Elias weniger gut an, schließlich ist er der sichtbare Kopf eines repressiven und gewaltvollen Lagerregimes. In einem Cafe schauen Bewohner_innen der von Elias beherrschten Unterkünfte den Bericht von Frontal 21. Als sein Gesicht auf dem Bildschirm erscheint, reagieren sie gereizt, fast jeder hier kennt ihn.
Was wird die mediale Zuwendung bringen, die die „Notunterkunft“ im ehemaligen Flughafen derzeit erfährt und die vermutlich noch zunehmen wird, wenn die Lager ausgebaut werden? Sicherlich kann sie erheblichen Druck ausüben. Am 9. Dezember ist der LaGeSo-Chef Franz Allert zurückgetreten. Dies ist zum Teil auf die zunehmende mediale Skandalisierung der Zustände vor dem LaGeSo zurückzuführen. Doch wird die Kritik in die falschen Bahnen geleitet, denn weder der Austausch einzelner Politiker_innen noch von Lagerbetreiber_innen wird Fluchtursachen und massive gesellschaftliche Ungleichheiten merklich beeinflussen. Hier bezieht die Weisekiezinitiative klar Stellung: Kein Frieden mit dem kapitalistischen System und seinen Profiteur_innen!
7. Woche (30. November 2015 – 6. Dezember 2015)
M. K. Berichtet: „Seit drei Monaten bin ich nun in Berlin. Derzeit übernachte ich in U-Bahnhöfen und manchmal bei Freunden. Zwei Monate lebte ich mit meiner Familie in einer Notunterkunft, bis ich durch die Lagerleitung vor die Tür gesetzt wurde. Ich wurde von meiner Familie getrennt, die nach wie vor in dieser Notunterkunft lebt. Den genauen Grund hierfür habe ich nicht verstanden, da er mir nur auf Deutsch mitgeteilt wurde. Zuvor hatte ich mit einer Vertreterin einer Berliner Zeitung gesprochen, was der Lagerleitung missfiel. Ich habe aber den Eindruck, dass ich wegen meiner jesidischen Religion hinausgeworfen wurde. Zuerst wurde mir ein Hotelgutschein versprochen, diesen habe ich bis heute nicht erhalten. Stattdessen wurde ich aufs LaGeSo verwiesen, wo ich bislang erfolglos versuche, einen neuen Schlafplatz zu bekommen und wieder mit meiner Familie vereinigt zu werden. Dem Lagerbetreiber geht es nur um Profit, die Menschen die dort leben sind im ganz egal!“
Bezüglich der Bebauungspläne für das Tempelhofer Feld rudert die Regierung zurück. Das Tempelhof-Gesetz soll nun erst im neuen Jahr geändert werden. Nur auf versiegelten Flächen am Rande der Flughafengebäude sollen Traglufthallen aufgestellt werden. Die Blumenhalle soll nun eventuell andernorts platziert werden. Für die Initiative 100% Tempelhof ist dieses Entgegenkommen unzureichend, da das Gesetz nach wie vor geändert werden soll.
Der Flüchtlingsrat Berlin skandalisiert in einer Pressemitteilung die Zustände in den Lagern, auch die Verantwortung für die von der Presse bereitwillig verbreitete Geschichte von der Massenschlägerei sieht der Flüchtlingsrat bei der Lagerleitung:
„2300 Menschen, darunter 800 Minderjährige, müssen seit Wochen unter menschenunwürdigen Bedingungen in drei großen Hallen auf allerengstem Raum zusammenleben, geplant ist das Lager für bis zu 12.000 Menschen. Dass eine solche extrem beengte und völlig unzureichend ausgestattete Massenunterkunft Aggressionen fördert, war absehbar.
Aus Sicht des Flüchtlingsrats trägt der Senat die Verantwortung für die gestrigen Auseinandersetzungen unter den BewohnerInnen der Unterkunft. Das Projekt Massenunterkunft in den von vornherein ungeeigneten Tempelhofer Hangars ist als gescheitert anzusehen.
Vor einer Woche konnte der Flüchtlingsrat sich selbst vor Ort ein Bild machen, vgl. dazu unseren Bericht.(2) Der Betrieb der Unterkunft verstößt gegen einschlägige Rechtsvorschriften und Qualitätsstandards(3). Baurechtliche brandschutzrechtliche, hygiene- und gesundheitsrechtliche Mindestanforderungen sowie schulrechtliche Vorschriften werden nicht eingehalten[.]“
In vielerlei Hinsicht wird dieses Lager für menschenunwürdig befunden. Die Trinkwasserversorgung und die Unterlassung medizinischer Hilfe werden angeprangert. Auch der Flüchtlingsrat fordert statt Lagern eindringlich die Unterbringung in Wohnungen.
Selbsternannte Tempelhof hilft Führung
Bei Tempelhof hilft organisierte Helfer_innen sind mittlerweile mit der Tamaja GmbH verschmolzen. Als eine Helferin mit dem Rücken zur Kamera vor die Presse tritt, um die Zustände in den Hangars zu kritisieren, missfällt das einigen Mitgliedern, die sich mittlerweile als Führung von Tempelhof hilft verstehen. Auf der Facebook-Seite von Tempelhof hilft wird dazu aufgerufen, sich mit Beschwerden an diese Leitung zu wenden, die einen guten Kontakt zur Lagerleitung pflege:
„In einem TV Bericht am Freitag wurde gesagt, dass die Helfer des THF keine Interviews geben, weil sie Angst hätten sonst keinen Zutritt mehr zu erhalten. Das Kernteam von THF ist im steten Austausch mit dem Betreiber, mit dem wir einen respektvollen und klaren Dialog führen. Wenn ihr Helfer die Befürchtung habt, dass ihr aus irgendeinem Grund ausgeschlossen werden könntet, sprecht uns gern vertraulich an.“ (https://www.facebook.com/groups/Tempelhof.Hilft/permalink/923293414419379/?hc_location=ufi)
Kritik am Betreiber ist hier nicht erwünscht, trotz der Offensichtlichkeit der üblen Zustände. Wer helfen will, muss das Lagerregime unterstützen, so der Wille der selbsternannten Tempelhof hilf Führung. Selbst hat diese für die Gruppe und ihre Mitglieder beschlossen, sich gegenüber der Presse nicht zu äußern, da sie sich voll aufs Helfen konzentrieren wolle. Stattdessen wird in einem an gleicher Stelle auf der Facebook-Seite veröffentlichten Schreiben auf die Pressestelle der Tamaja GmbH verwiesen.
Ausgelöst hatte die Debatte ein Bericht in der Abendschau vom 4. Dezember 2015. Dort ist zu hören: „Die Helfer wollen sich eigentlich nicht politisch äußern, aus Angst vom Betreiber vor die Tür gesetzt zu werden.“ (https://www.youtube.com/watch?v=SmurV6gNZdE) Die Journalist_innen vom RBB berichten dort auch über ihre eigenen schlechten Erfahrungen mit der Tamaja GmbH. Es sei üblich eine Drehgenehmigung direkt bei der Betreiberfirma einzuholen. Bei Tamaja würden die Journalist_innen vom RBB allerdings schon seit Wochen von der Lagerleitung abgewiesen. Laut Tamaja sei das politische Interesse so hoch, dass Drehtermine mit der Senatsverwaltung abgesprochen werden müssten. Diese Entscheidung sei von der Senatsverwaltung ausgegangen, so die Tamaja GmbH. Das RBB-Team fühlt sich durch die Tamaja GmbH und die Senatsverwaltung in seiner Arbeit eingeschränkt.
6. Woche (23. November 2015 – 29. November 2015)
Der Senat beschließt einen Gesetzesentwurf zur Änderung des Tempelhof-Gesetzes. Diese sei angeblich nur vorübergehend. Das Flughafengelände solle zum „Wilkommenszentrum“ ausgebaut werden. Auch am Tempelhofer Damm und auf der Neuköllner Seite des Feldes sollen Traglufthallen aufgebaut werden.
Die Presse berichtet über eine Massenschlägerei in den Hangars. Angeblich sollen Eisenstangen und Messer verwendet worden sein. Laut Augenzeugen ist die Auseinandersetzung in Reaktion auf die kollektive Bestrafung der Bewohner_innen von Hangar 3 entstanden, denen wegen einer kleineren Auseinandersetzung kein Essen ausgeteilt worden sei. Andere berichten, der Lagerleiter persönlich habe in dieser Auseinandersetzung das Wort „fuck“ verwendet, was den Vorfall provoziert habe. Über 30 Menschen seien daraufhin aus dem Lager verbannt worden. Fotografien dieser Menschen finden sich an der Wand nahe den Eingängen, wo der Sicherheitsdienst Gesichtskontrollen durchführt. Die Medien verbreiten die Interpretation der Lagerleitung, die die Schuld für die Ausschreitungen alleine den Bewohner_innen zuschiebt. Mit Berichten der immer unerträglicher werdenden Situation für die Bewohner_innen hält sich die bürgerliche Presse dagegen zurück. Auch die Willkür der Bestrafung und die Folgen des Ausschlusses werden nicht thematisiert.
5. Woche (16. November 2015 – 22. November 2015)
Mittlerweile leben mehr als 2200 Menschen in den Hangars 1, 3 und 4. Viele Menschen schlafen auf Matratzen auf dem Boden.
Bereits von den Grünen wurden die Hygienischen Bedingungen und die schlechte medizinische Versorgung angeprangert. Fälle unterlassener Hilfeleistung wurden aus diversen Lagern berichtet. Kein Wunder, schließlich steht Geflüchteten bis zu ihrer Registrierung medizinische Versorgung nur in Notfällen zu. Helfer_innen aus der Nachbarschaft, die im Hangar 3 zu Gange waren, berichten über das Schicksal einer schwangeren Frau. Im Hangar wurde die lokale Initiative auf eine Frau aufmerksam gemacht, die an einem starken Husten und Schmerzen im Brustbereich litt. Sie machte sich große Sorgen um ihr Ungeborenes, aber bislang hatte sich niemand um sie gekümmert. Als das Sicherheitspersonal hierauf aufmerksam gemacht wurde, wurde die Initiative auf die Medi Station im Hangar 1 verwiesen. Dort nahm sich nach einiger Zeit auch ein Arzt der Patientin an. Doch statt eine Untersuchung zu erhalten wurde sie aufgefordert am nächsten Tag wiederzukommen. Als der Helfer den Arzt daraufhin fragte, ob es Sinn mache mit der Frau zum Krankenhaus zu fahren, ob sie dort behandelt werden könnte, lies der Arzt seinen ganzen Frust an dem Helfer aus. Er forderte ihn auf, in sein Zimmer zu kommen, wo er zuerst versuchte eine Art Verhör durchzuführen und ihm dann vorwarf unbefugt Patient_innen geheilt zu haben, seine „Diagnose“ angezweifelt zu haben und unbefugt in das Gelände eingedrungen zu sein. Der Helfer wurde darauf von zahlreichen Mitarbeitern des Security-Unternehmens rabiat am gehen gehindert. Der Betreiber höchstpersönlich wurde hinzugerufen. Dieser verschwor sich gemeinsam mit den Mitarbeitern des Sicherheitsdiensts und dem medizinischen Personal gegen den Helfer aus der Nachbarschaft. Sie warfen ihm vor, sich als Arzt ausgegeben und Patient_innen behandelt zu haben, Landfriedensbruch begannen zu haben und Lügen zu erzählen. Der Betreiber sagte ihm, er habe ihn drei Mal aufgefordert zu gehen, da er dieser Aufforderung nicht nachgekommen sei, rufe er nun die Polizei. Wie der Helfer versichert, hatte er diese Aufforderung aber gar nicht ausgesprochen. „Für einen Moment wurde mir die Macht des privaten Lagerregimes bewusst. Eine ohnmächtig machende Herrschaft, der die Bewohner_innen andauernd ausgesetzt sind.“ Der Helfer wurde anschließend in einen leeren Raum geführt und dort für einige Zeit festgehalten. Anschließend wurde ihm Hausverbot erteilt – das Lagerregime, das ohne ehrenamtliche Hilfe gar nicht auskäme bzw. viel weniger rentabel wäre, erteilt Hausverbot für ehrenamtliches Engagement. Viel schlimmer aber ist, dass die Verwaltung ihrer Fürsorgepflicht nicht nachkommt und selbst das medizinische Personal zum Teil gar nicht daran interessiert ist, den Geflüchteten zu helfen.
4. Woche (9. November 2015 – 15. November 2015)
Die Regierung plant nun sämtliche Hangars des ehemaligen Tempelhofer Flughafen zu Lagern zu machen, sodass dort insgesamt um 6000 Menschen untergebracht werden sollen. In einer für die Internationale Gartenschau in Marzahn im Jahr 2017 gedachten Blumenhalle sollen am Rande des Flugfelds etwa 700 Geflüchtete wohnen. Hierzu will der Senat das Tempelhof-Gesetz ändern, ein Gesetz, das 2014 per Volksentscheid beschlossen worden war. Die Geflüchteten werden vom Senat instrumentalisiert, um das den Herrschenden unliebsame Gesetz auszuhebeln und Tendenzen der Demokratisierung zu bekämpfen. Es stünden genug andere Flächen zur Verfügung, doch um jeden Preis soll der Wille der Bevölkerung gebrochen werden. Die Häme der Politiker_innen geht so weit, dass Bürgermeister Müller die Initiative 100% Tempelhofer Feld zur Solidarität mit den Geflüchteten auffordert.
3. Woche (2. November 2015 – 8. November 2015)
Das Handeln der Lagerleitung und der Securities ist geprägt von Willkür. Bewohner_innen werden durch das Lagerregime für Lapalien „bestraft“, indem ihnen Hausverbot erteilt wird und sie einfach vor die Tür gesetzt werden. R. E. berichtet: „Im Lager, gibt es kaum Platz zum Atmen. Aus der Enge ergeben sich Konflikte. In Folge eines belanglosen Streits eskalierte die Lage und mehrere Leute gingen auf mich los. Die Securities kamen hinzu und schlugen mich. Anschließend wurde ich vor die Tür gesetzt, ich darf auch nicht zurückkommen. Wo ich hingehen soll weiß ich nicht. Es ist schon dunkel.“ Eine Unterstützerin, die vor Ort ist, redet mit den „Sicherheitspersonal“. R. E. habe geprügelt und deswegen Hausverbot erhalten. Er könne sich bei der Polizei melden.
Der Sicherheitsdienst im Lager Tempelhof ähnelt einer Privatarmee der Lagerleitung, zugleich agieren Mitglieder aber auch eigenständig und völlig unkontrolliert. Derzeit werden in vielen Lagern, in denen Geflüchtete untergebracht werden, Securities eingesetzt, die eine Ausbildung von wenigen Stunden absolviert haben. Private Sicherheitsdienste fördern zugleich aggressives Gehabe, Gehorsam und den Einsatz von Gewalt im Interesse profitgesteuerter Betreiberfirmen. Blinder oder (ökonomisch) erzwungener Gehorsam führen zur Aufrechterhaltung eines Systems, das den Interessen der Angestellten Securities selbst in vielerlei Hinsicht entgegensteht. Zudem sind die Arbeitsbedingungen schlecht. Die Interessen der Ausgebeuteten Arbeiter_innen werden gegen die vom gleichen System unterdrückten Geflüchteten ausgespielt.
Der Berliner Senat berät über das Aufstellen von Traglufthallen auf dem Tempelhofer Feld. 2012 wurde über einen Volksentscheid entgegen dem Willen der Regierenden ein Gesetz beschlossen, das die Bebauung des Flugfeldes untersagt. Die Unterbringung von Geflüchtete soll eine Bebauung des Feldes nun rechtfertigen.
2. Woche (26. Oktober 2015 – 1. November 2015)
Mittlerweile leben etwa 600 Menschen im Hangar 1. Auch die Hangars 3 und 4 werden für Geflüchtete vorbereitet. Statt Zelten werden Parzellen mit Trennwänden abgesteckt. Die Tamaja schafft es nicht einmal denjenigen, die nach einer strapaziösen Flucht in Berlin angekommen sind, die Möglichkeit zu geben zu duschen. Auch die Sanitäranlagen des auf der anderen Seite des Flugfeldes gelegenen Columbiabads werden den Bewohner_innen nicht zur Verfügung gestellt, da es „geschlossen“ sei. Einige der Bewohner_innen wurden mit Bussen zu einem mehrere Kilometer entfernt gelegenen Schwimmbad gebracht, andere haben seit ihrer Ankunft noch gar nicht geduscht.
Michael Elias, der Inhaber der Firma Tamaja, wird in den bürgerlichen Medien als fachkundiger Geflüchtetenmanager präsentiert. Gezeigt wird, wie er Arbeiter_innen scheinbar professionelle Anweisungen gibt. Dargestellt wird er als Garant für „Wilkommenskultur“ und „Sicherheit“, der Geflüchtete mit einem Lächeln begrüßt. Elias scheint zu wissen, was Geflüchtete wünschen und für sie das beste aus der schwierigen Situation machen zu können. Schließlich sei er als „halb Deutscher und halb Libanese“ und selbst „privilegierter Geflüchteter“ prädestiniert für die Geflüchteten Entscheidungen treffen zu können.
Manifest wird die Profitgetriebenheit privat betriebener Lager in der Ausbeutung ehrenamtlicher Hilfe. Freiwillige Helfer_innen kümmern sich in Organisationen wie „Neukölln hilft“ und „Tempelhof hilft“ um die Lagerbewohner_innen. Sosehr diese akute Hilfe nötig und ihr Handeln nachvollziehbar und wünschenswert ist, spielt diese Art der Unterstützung ohne fundamentale Kritik an der Unterbringung in Lagern und der Fluchtursachen den Betreiber_innen und dem kapitalistischen System in die Hände. Denn die von Volontären mit viel Mühe und Zeit erbrachte Arbeit erfüllt nicht nur die Aufgaben des Staates, oft werden Leistungen erbracht, für die die Lagerbetreiber_innen durch Steuergelder bereits bezahlt wird. Bisher hielten sich die Helfer_innen mit Kritik am Betreiber zurück. Doch nun treten einige an die Öffentlichkeit. Unter anderen wird skandalisiert, dass die Tamaja GmbH Hygieneartikel auf die an Spender_innen gerichtete Bedarfsliste setzte, für die sie vom Staat Geld erhalten hatte. Außerdem seien Stellenausschreibungen dieser Firma merkwürdigerweise von deren Internetpräsenz verschwunden, als diese Funktionen durch Freiwillige übernommen worden waren.
Das Bündnis „Neukölln hilft“ erkennt nun, wie ihre Hilfe durch den Heimbetreiber ausgenutzt wurde:
„Nein, keine Angst. Ihr werdet hier keinen rassistischen Rant lesen, in dem die einen Geflüchteten gegen die anderen ausgespielt werden. Trotzdem helfen wir guten Herzens oft nur gewinnorientierten Unternehmen, obwohl die von uns gekauften Waren doch für die Ärmsten sind.
Wir vergessen zu oft, dass die Betreiber der Notunterkünfte vom Staat Geld für Hygiene-Artikel und Nahrungsmittel bekommen. Jedes Mal, wenn wir einen Euro für Duschgel ausgeben, landet dieser Euro klimpernd im Geldsäckel der NUK-Betreiber.
Wenn wir also 1000 Flaschen Shampoo à 1 € kaufen, dann schenken wir den NUK-Betreibern 1000 Euro. Der Staat hatte diesen schon zuvor 1000 Euro gegeben, um Shampoo zu kaufen.
Das Gleiche gilt für Babynahrung, Windeln, Damenbinden, Rasierschaum etc.
Genau aus diesem Grund sollten wir vorsichtig sein mit „Bedarfslisten“. Gerade hier in Neukölln. Die Bedarfsliste für die NUK Jahn-Sporthalle ist gefüllt mit Artikeln, für die der NUK-Betreiber Tamaja schon Geld vom Staat bekommen hat.“
Eine Helferin schildert die Ausnutzung der Freiwilligen auf ihren Blog:
„Auch nach Wochen waren alle noch voller Begeisterung, Tatendrang, Ideen. Wir wussten, es gab einen Betreiber, in unserem Fall Tamaja, ehemals SoWo Berlin, eine Firma, die gewinnorientiert arbeitet und sonst Heime für Obdachlose und Alte betreibt. Wir waren so mit der ehrenamtlichen Tätigkeit beschäftigt und die Dynamik des Helfenwollens sowie das Leid der Geflüchteten, die katastrophalen Zustände am Lageso, all das musste erst einmal verarbeitet werden.
Dann, Ende September kam die Sache mit den Regalen. Eine der vielen Ehrenamtler war zu diesem Zeitpunkt gerade fest angestellt worden. Wir saßen in Bergen von Kartons, eine Lösung war nicht in Sicht. Die Idee von „Regalpatenschaften“ war ein kreativer Vorschlag, der begeistert angenommen wurde, Spaß machte und klar waren wir dabei! Und gerne. Und ganz selbstverständlich.
Als es jedoch nicht einmal möglich war, den Betreiber dazu zu bekommen, die von uns selbst finanzierten und gekauften Regale vom Baumarkt bis zur Unterkunft zu transportieren, wurden wir hellhörig.
Wem gehörten eigentlich die Regale? Wie viel Geld bekam diese Firma pro Flüchtling? Warum konnte der Betreiber das Haus nicht so ausstatten, dass zumindest das Notwendigste vorhanden war?
Ich recherchierte im Netz und fand die alte Website der Vorläuferfirma von Tamaja, SoWo Berlin. Inzwischen ist die Seite nicht mehr verfügbar, aber Ende September konnte man dort noch sinngemäß Folgendes lesen: „Wir werden in Kürze Flüchtlingsheime übernehmen und stellen dafür engagierte Mitarbeiter ein, Hauswirtschaftler, Sozialarbeiter, Kinderbetreuer, Hausmeister. Noch ein paar weitere Berufsgruppen wurden genannt, an die ich mich nicht mehr erinnere.
Was uns jedoch wie Schuppen von den Augen fiel war, dass die Firma Tamaja logischerweise all diese Stellen nicht besetzen würde, solange wir Ehrenamtliche diese Arbeit kostenlos erledigten.
Uns wurde auch klar, dass wir zwar – auch – den Flüchtlingen halfen, aber gleichzeitig kostenlose Arbeitskräfte waren, die der Gewinnmaximierung einer Firma dienten.
Zudem besetzen wir mit unserer ehrenamtlichen Tätigkeit einen Arbeitsplatz, der sonst für einen Arbeitslosen zur Verfügung gestanden hätte.“
Diese Kritik ist durchaus treffend, jedoch nicht konsequent genug. Denn alleine die Machenschaften der Betreiber_innen zu skandalisieren reicht nicht. Nur indem die wirtschaftlichen und politischen Strukturen angegangen werden, die es erlauben, dass eine Privatperson Profit aus der Lage Geflüchteter zieht, kann diese Ausbeutung nachhaltig bekämpft werden. Nur wenn zugleich der Komplex aus Wirtschaft und Politik attackiert wird, der Flucht und Vertreibung erst hervorbringt, wird es eine „Lösung“ der sogenannten „Flüchtlingskrise“ geben. Eine weitreichende Kritik der bestehenden Verhältnisse ist in einem Zusammenschluss wie „Neukölln hilft“ schon deshalb schwer möglich, da dort Vertreter_innen von Parteien mitmischen, die die Verantwortung für Kriege und Abschiebungen tragen. Selbst der Heimbetreiber ins in dieses Bündnis involviert.
1. Woche (19. Oktober 2015 – 25. Oktober 2015)
Am Freitag dem 23. Oktober begannen überraschenderweise Bundeswehrsoldat_innen Hangar 1 für Geflüchtete herzurichten. Der Senat hatte die Öffentlichkeit vorher nicht informiert. Die Firma Tamaja GmbH hatte von der Regierung den Auftrag erhalten, Teile des ehemaligen Flughafengebäudes zur Unterkunft für Geflüchtete zu machen. Diese Firma betreibt bereits die Lager in der Jahn-Sporthalle und in der ehemaligen Teske Schule in Tempelhof. Bereits seit längerem plant sie ein Lager in der Karl-Marx-Str.
Geschäftsführer der Firma ist Michael Elias. Obwohl seine Motivation, nämlich Profit, bereits seit längerem bekannt ist und seine Machenschaften bereits öffentlich angeprangert wurden, wird er in den Medien schon im Hinblick auf das geplante Lager in der Karl-Marx-Str. als Vorzeigelagerbetreiber dargestellt. Auch dem RBB und der Zeit ist jedoch nicht entgangen, dass hier ein Kapitalist am Werk ist, der einzig auf Profit aus ist. Verwiesen wird auf seine früheren Unternehmertätigkeiten, bereits über acht Unternehmen soll er geleitet haben, darunter ein Busunternehmen, eine Werkzeugfabrik und eine „Agentur für Produktfotografie“. Die Tamaja GmbH ging aus der Firma SoWo hervor, die Elias gegründet hatte. In den Medien wurde darauf aufmerksam gemacht, dass an diesem Unternehmer auch ein Burschenschaftler der Gothia beteiligt war.
Etwa 500 Geflüchtete sollen in Hangar 1 unterkommen. Zelte werden aufgestellt, darin Feldbetten, ein Zelt ist für 12 Personen vorgesehen. Am 25. Oktober kamen die ersten 60 Menschen an. Auf dem gesamten Gelände gibt es keine Duschen.
Erste Pläne
Die Berliner Senat plant Geflüchtete im ehemaligen Flughafen Tempelhof unterzubringen. Im Weisekiez will mensch einerseit die Geflüchteten unterstützen, zugleich aber auch die rassistische Diskriminierung von Geflüchteten und deren Unterbringung in Lagern bekämpfen. Um die Nachbarschaft zu mobilisieren, wird im Syndikat am 4. Oktober ein Vernetzungstreffen organisiert.
Über diese Chronik
Die Chronik basiert auf Erfahrungen der Menschen, die durch den deutschen Staat gezwungen werden, in Lagern zu Leben, ehrenamtlicher Helfer_innen, politischer Aktivist_innen sowie auf diversen Publikationen über die Lager. Diese Auflistung erhebt nicht den Anspruch die Geschichte der Lager auf dem Gelände des ehemaligen Flughafen Tempelhofs zu schreiben. In die Chronologie aufgenommen wurden einige wenige flüchtige Ausdrücke aus den und Einblicke in die Lager. Bestenfalls kann angedeutet werden, was in diesen und den vielen anderen Lagern vor sich geht, wie die Machstrukturen dieser Einrichtungen beschaffen sind. Teilweise gehen auch Ereignisse aus anderen Lagern, mit denen wir Kontakte pflegen, ein, beispielsweise aus der ebenfalls durch die Tamaja GmbH betriebenen Jahn-Sporthalle.
Um Nachteile für die sich in dieser Chronologie äußernden Menschen und Verwechslungen zu vermeiden, werden statt ihrer Namen willkürlich Initialen gesetzt. Auch Details werden stellenweise zu deren Schutz abgeändert.
Mittlerweile ist der ehemalige Flughafen Tempelhof die größte „Unterkunft“ für Geflüchtete in Berlin. Die Hoffnung der an dieser Chronik Beteiligten ist es, dass bald alle Bewohner_innen dieser Lager gemeinsam mit ihren Nachbar_innen in Wohnungen und in einer klassenlosen Gesellschaft leben möchten!